Neue Mobilitätsangebote der Zukunft nicht durch Monopolstrukturen ausbremsen
Goslar (pb): Die Autofahrer werden zukünftig mehr und ganz neuartige Angebote für ihre persönliche Mobilität bekommen können – von ihren Versicherern, von den Automobilherstellern und von anderen Marktteilnehmern. Daran wird derzeit bereits gearbeitet, und zwar nicht nur von Anbietern aus dem engeren Bereich der Mobilitätsdienstleister. Auch Unternehmen wie Google oder Amazon basteln bereits an Konzepten, mit denen den Autofahrern in Zukunft „das Leben noch leichter“ gemacht werden soll. Publizist und Branchenkenner Guido Reinking erläuterte zum Thema „Hase und Igel: Wie man vom PKW oder der Police zum Mobilitätsservice kommt“ die neuen und zusätzlichen Leistungen im Bereich Mobilität, die durch jene Daten ermöglicht werden, welche ein modernes Fahrzeug heute über seine Bordelektronik aufzeichnet: sei es zu den Fahrgewohnheiten, zur persönlichen Fahrweise, zu den Fahrstrecken etc. Diese vom Fahrzeug erhobenen Daten versetzen Hersteller, Händler, Versicherer und andere Marktteilnehmer in die Lage, den Autofahrern mehr Produkte und mehr Dienstleistungen passgenauer anzubieten, um ihnen Mobilität so angenehm, komfortabel, günstig und sicher wie möglich zu gestalten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass all diese möglichen Anbieter gleichen Zugang zu den in den Fahrzeugen aufgezeichneten Informationen haben, was bislang noch nicht der Fall ist, wie die Experten beim Goslar Diskurs bemängelten.
Hintergrund bei der Entwicklung neuer Mobilitätsleistungen sind die Fortschritte durch die rasante Entwicklung der Digitalisierung. Ein am Markt bereits sehr erfolgreiches Beispiel für einen so entstandenen neuen Service für Autofahrer ist etwa der sogenannte Telematik-Tarif, den die HUK-COBURG seit rund einem Jahr für junge Fahrer in Deutschland flächendeckend anbietet. Dieses Produkt sei so etwas wie die logische Fortsetzung des begleiteten Fahrens, erläuterte Dr. Jörg Rheinländer, Vorstandsmitglied der HUK-COBURG, beim Goslar Diskurs. Mit dem Telematik-Angebot „Smart Driver“ können junge HUK-Kunden unter 25 Jahren bis zu 30 Prozent pro Jahr auf den Beitrag in der Kfz-Haftpflicht und -Kasko sparen, wenn sie dem Einbau einer Telematik-Box zustimmen. Die Box zeichnet während der Fahrt Daten zu Ort, Zeit, Geschwindigkeit, Beschleunigung, Bremsen und Lenken auf. Aus diesen Daten wird dann ein Gesamtfahrwert errechnet, der die Höhe des Bonus bestimmt.
In dem „Smart Driver“-Tarif sieht Dr. Rheinländer ein ausgezeichnetes Exempel dafür, wie aus den in den Autos erhobenen Daten sinnvolle Angebote entstehen können. Die Akzeptanz dieses Produktes der HUK-COBURG sei ausgesprochen hoch – und dies nicht nur bei den jungen Leuten, sondern auch bei ihren Eltern, die in dem Alter zum Teil noch die Versicherungsentscheidung treffen. Dabei spiele sicher ebenfalls eine Rolle, dass der Telematik-Tarif mit einem automatischen Unfallalarm verknüpft sei, sagte der HUK-COBURG-Vorstand.
Dieses „smarte“ Produkt soll zudem den jungen Autofahrern die Möglichkeit eröffnen, ihren persönlichen Fahrstil im Hinblick auf sicheres und vorausschauendes Fahren zu überprüfen, betont die HUK-COBURG. So werde auch ein Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit insgesamt geleistet. Aus der Verarbeitung und Auswertung dieser Big Data werden ganz neue Geschäftsmodelle erwachsen, prognostizierte auch der Automobil- und Digitalexperte Stefan Gaul. Daher gebe es auch historisch gewachsene Interessenkonflikte in Bezug auf diese Daten, sagte Gaul, wie etwa zwischen den Automobilherstellern, den Versicherern, der Ersatzteilbranche, aber eben auch den Kunden. Denn sie alle wollen sich den Zugang zu den Geschäftsmodellen von morgen nicht verstellen lassen. Daher sei es wichtig, sich erst einmal zu vergegenwärtigen, wem diese beim Fahren erhobenen Daten eigentlich gehören und dann, wie sie verteilt werden, erklärte der Vizepräsident des ADAC, Ulrich Klaus Becker. Nach seiner Einschätzung haben sich die Autohersteller bislang kaum um Endkunden gekümmert. Das habe sich nun geändert, weil man merke, dass es um den Daten-Schatz gehe, so Becker. Er forderte, darauf zu achten, dass die in den Fahrzeugen erhobenen Daten als persönliche Daten definiert werden und dass der Zugang dazu diskriminierungsfrei organisiert sein müsse.
Momentan können aber Versicherer noch nicht einmal aktiv auf Daten über Schadenereignisse zugreifen, wie sie in jenem von der EU vorgeschriebenen automatischen Notrufsystem „eCall“ für Kraftfahrzeuge u. a. anfallen, das ab Ende März 2018 in alle neuen Pkw und leichten Nutzfahrzeuge eingebaut sein muss, wie HUK-Vorstand Rheinländer kritisierte. Er berichtete von diesbezüglichen Gesprächen mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) und einzelnen Herstellern. Bei den Herstellern seien aber dabei die „Schotten relativ schnell dicht“, so Dr. Rheinländer, sobald es um Daten zu Leistungen gehe, die Versicherer auch anbieten: wie etwa Autoservice, Inspektion, Hauptuntersuchung oder Reifenwechsel. „Die Autohersteller wollen diese Daten vielleicht auch deshalb nicht herausgeben, weil sie Angst vor einem freien Wettbewerb haben“, meinte der HUK-Vorstand. Denn die Versicherer seien einfach viel dichter am Kunden, pflichteten ihm auch die anderen Teilnehmer am Goslar Diskurs bei.
Um für den Autofahrer der Zukunft vielfältige, zielführende Angebote zur Erleichterung der persönlichen Mobilität sicherzustellen, sprachen sich die Experten beim Goslar Diskurs unisono für einen diskriminierungsfreien Zugang zu den in den Fahrzeugen erhobenen Daten aus – nach Freigabe durch den Fahrer oder Fahrzeughalter. Ein fairer Wettbewerb müsse auch bei den künftigen neuen Mobilitätsangeboten gewährleistet sein, brachte es ADAC-Vize Becker auf den Punkt.